Nachdem unsere Autorin, Rafaela Allgöwer, in den vier letzten Teilen ihrer Serie die Elemente Feuer, Erde, Metall und Wasser vorgestellt hat, geht sie diesmal dem fünften Element Holz auf die Spur.
Der zugrundeliegende chinesische Begriff für das Element Holz ist in seiner Bedeutung sehr umfassend: „Krone des Wachsens". Er beinhaltet den grünen Trieb genauso wie den abgestorbenen Ast und wäre wohl besser mit dem Begriff „Baum" übersetzt worden. Ein Baum, wie er sich in allen Lebensphasen darstellt, als junger, biegsamer, emporschießender Trieb, als starker, verholzter und doch flexibler Baum, als verknorrter, absterbender Baum.
Der Chinese denkt auch hier nicht in Dualitäten: Leben oder Tod, Jugend oder Alter, Festigkeit oder Biegsamkeit. Er sieht das Ganze, weiß, daß ohne Tod kein Leben sein kann, daß alles, was wächst, irgendwann altert, daß ein Lebewesen sowohl flexibel und biegsam sich an seine Umgebung anpaßt als auch hart und stark den äußeren Einflüssen trotzt.
Scheinbare Gegensätze stehen eigentlich komplementär, das heißt ergänzend, zueinander und bilden deshalb gemeinsam ein Ganzes. Holz enthält das ganze Wachstum von Anfang bis zum Ende in allen seinen Ausprägungen. Die zum Wachstum gehörende Farbe ist grün.
Wachstum ist Bewegung nach außen: Aus dem Schoß der Erde treibt eine neue Pflanze, aus dem Abgestorbenen des Winters entsteht der Frühling, auf die Dunkelheit der Nacht folgt der Sonnenaufgang, auf Ruhe folgt Bewegung. Der Wind bringt Bewegung in die Natur. Er wird Holz, vom Baum hörbar und sichtbar gemacht, Blätter rauschen, Äste biegen sich. Nur Bäume, die immer wieder dem Sturm ausgesetzt sind, werden wirklich stark. Der Wind nimmt abgestorbene Äste und Blätter mit und schafft Platz für neues Leben.
Der Holztyp
Ein Mensch, bei dem das Holzelement dominiert, ist jemand, der „frischen Wind" ins Leben bringt. Er sprüht vor Ideen, fängt immer wieder etwas Neues an, auch wenn das Alte vielleicht noch gar nicht abgeschlossen ist. Das Gewohnte wird schnell langweilig, er fühlt sich am wohlsten auf Reisen, bei immer neuen Menschen, neuen Projekten. Er ist ein Organisationstalent und hat viel Phantasie und künstlerische Fähigkeiten.
Sein Körper ist wohl proportioniert wie ein gut gewachsener Baum. Frauen sehen besonders weiblich aus, Männer besonders männlich, kantig und hart. Beide sind makellos angezogen und mögen bunte Farben. Ihre Bewegungen sind bestimmt. Das Gesicht ist länglich oder durch die breite Stirn und die schmalen Backen fast dreieckig. Wie Sie an der Zeichnung erkennen können, ist auch die Hand wohl proportioniert und hat wie ein Baum viele Linien und knotige Fingergelenke.
Körperteile, die dem Holz zugeordnet sind, wie Leber, Gallenblase, Schultern, Augen, Geschlechtsdrüsen, Muskeln, Sehnen und Fingernägel sind am meisten exponiert und daher am anfälligsten für Krankheiten. Dem Holztyp läuft schnell einmal eine „Laus über die Leber", „es geht ihm die Galle über", er wird schnell „sauer", wobei sauer auch als Geschmack dem Holzelement zugeordnet wird.
Wechselbeziehung zwischen Zerstörung und Kreativität
Das chinesische Zeichen „Krone des Wachsens" hat weiterhin die Bedeutung „neu Vielfalt Zerstörung". Neue Vielfalt ist das, was wir unter Kreativität verstehen, und auch hier denken die Chinesen ganzheitlich: Kreativität kann nicht ohne Zerstörung existieren; wenn Neues geschaffen wird, muß Altes vergehen. Verrottete Pflanzenteile bilden den Humus für neue Pflanzen. Um ein neues Haus zu bauen, muß ich zuerst das alte abreißen oder die Pflanzen auf dem Bauplatz roden. Male ich ein Bild, zerstöre ich damit eine leere Leinwand. Mit Musik verdränge ich die Stille.
Die Holz-Hand - Kantige Formen, zahlreiche Handlinien
Zerstörung und Kreativität sind zwei Seiten derselben Münze. Wir werden wütend und zerstörerisch, wenn unsere Projekte schief gehen, unsere Wünsche und Erwartungen nicht erfüllt werden, wenn uns jemand verletzt. Doch die meisten Menschen haben so viel Angst vor ihrer Wut, daß sie sie unterdrücken. Damit unterdrücken sie auch ihre Kraft und Kreativität, ihre Lebendigkeit. Innerlich brodelt es wie ein Vulkan, außen ist eine dicke Maske aus Konvention, gutem Benehmen, Schuldgefühlen und Angst. Die Schicht kann - wie es bei mir der Fall war- so dick sein, daß man noch nicht einmal weiß, daß diese Wut überhaupt darunter existiert.
Selbstverständlich kostet es eine Menge Kraft, seine Aggressivität zu unterdrücken, ein starker Panzer aus angespannten Muskeln hält die Maske aufrecht, so daß diese Menschen nach außen hin energielos wirken, viel Schlaf brauchen. Sie bekommen Kopfschmerzen und Migräne, Blähungen mit saurem Aufstoßen, Schwindelgefühle, Ohrenklingen. Oft äußert sich unterdrückter Arger mit Husten und verstopfter Nase. Sie haben die „Nase voll" und möchten den anderen eigentlich „etwas husten". Oder ihre Destruktivität äußert sich in Alpträumen.
Hier ist es unbedingt nötig, um schlimmere Krankheiten zu verhüten, auf ungefährliche Art die Wut auszudrücken. In Selbsterfahrungsgruppen und Einzeltherapie wie zum Beispiel Bioenergetik, Primärtherapie oder Rebalancing-Massage wird die unterdrückende Maske abgerissen, der Körperpanzer gelockert.
Dabei entlädt sich die aufgestaute Wut durch Schreien, Stampfen und auf das Kissen schlagen. Ohne andere zu verletzen, wird ein Freiraum geschaffen, diese Kraft endlich ein mal wieder zu spüren und sie zu leben. Dies kann zunächst schmerzvoll sein, weil viele unangenehme Erinnerungen hoch kommen Aber irgendwann wird es zur Lust, zum Genuß unserer Lebendigkeit.
Nach der Reinigung durch eine Therapie kann der nächste Schritt Meditation und Bewußtheit sein. Ohne Bewußtheit sammeln wir bald wieder neue Wut an und brauchen wieder Hilfe durch einen Therapeuten.
Holz in Harmonie: Großes Kreativitätspotential
Was Bewußtheit bewirkt, zeigt folgende Geschichte:
Ein berühmter Krieger kam zu einem Zen Meister und fragte nach dem Tor zum Himmel. Da begann der Meister ihn zu hänseln, er sei feige und ein schlechter Krieger. Darauf wurde der Samurai so wütend, daß er mit dem Schwert auf den Weisen losging. Dieser rief: „Halt!" In dem Moment erwachte der Samurai aus seiner Unbewußtheit und steckte sein Schwert zurück in die Scheide. Der Meister sagte: „Nun hast du es gemerkt: automatisches, unbewußtes Reagieren ist das Tor zur Hölle. Sei wach, klar und bewußt, das ist das Tor zum Himmel. Dann handelst du nicht mehr destruktiv, sondern kannst deine Kraft kreativ einsetzen.
Bewußtheit erlangen wir durch dieses gesprochene „Halt", dieses Gewahrwerden und Beobachten der momentanen Wirklichkeit. Dann haben wir die Freiheit, wie wir unsere Energie einsetzen wollen, ohne sie zu unterdrücken.
Oder eine andere Geschichte: In einem Wald hauste ein Mann, dessen Vater und Mutter grausam umgebracht worden waren. Nun rächte er sich an den Menschen und hatte sich geschworen hundert Menschen umzubringen, deren kleine Finger er als Kette um den Hals trug. 99 Finger hatte er schon, es fehlte nur noch einer. Er war weit und breit gefürchtet, keiner kam in seine Nähe. Buddha kam in diesen Wald und näherte sich ihm. Der Mann erkannte die Schönheit Buddhas und rief: „Komm nicht näher, sonst muß ich dich umbringen!" Doch Buddha kam immer näher und sagte: „Bevor du mich tötest, habe ich eine Bitte, hacke von diesem Baum einen Zweig ab. „Verwundert tat dies der Mann. „ Und letzt setze ihn wieder dran und laß ihn weiter wachsen. " Der Mann begriff. Er wurde ein Schüler Buddhas. Buddha sagte zu seinen anderen Jüngern: „Nehmt euch ein Beispiel an diesem Mann, er hat die Energie, die Intensität zur Erleuchtung. "
Unsere Wut ist ein ungeheueres Potential. Durch Bewußtheit beginnt sie zu fließen, - ohne daß wir darüber nachdenken müssen - in die richtigen Kanäle. Wut wird zu Kreativität, zu derjenigen Kraft, die uns zum Wachsen und Blühen bringt.
Holz in Disharmonie: Unkontrolliertes Wachsen
Das chinesische Zeichen „Krone des Wachsens" hat noch eine andere Bedeutung: „tabu", „Begrenzung". Jedes Blatt wächst nur solange, bis es seine endgültig richtige Form erreicht hat, jedes Organ wächst bis zu der Größe, die für den Organismus richtig ist. Wird diese Größe überschritten, wachsen Zellen unkontrolliert, ohne Tabu entsteht eine tödliche Krankheit: Krebs.
So wie viele von uns ihren Körper ohne Tabu wachsen lassen, wachsen wir auch als gesamte Menschheit, überziehen die Erde mit immer mehr Menschen, Industrie, Häusern, Autobahnen, verschmutzter Luft, Boden und Wasser. Die Verantwortung dafür liegt bei jedem Einzelnen von uns.
Leben wir unsere Energie? Bringen wir unser Potential kreativ zum Wachsen und Blühen? Lassen wir uns Zeit zum Wurzeln-schlagen und In-die-Tiefe-gehen, zum Stark-und-biegsam-in-die-Höhe-wachsen? Oder rennen wir einfach irgendwo hin, werden zum blinden Arbeitssüchtigen, erkennen nicht, was unsere wahre Bestimmung ist?
Dieses blinde, an „Sachzwängen" orientierte Tun ist genauso destruktiv wie die blinde Wut des Mörders im Wald. Wir kaufen und produzieren Wegwerfartikel, weil dauerhafte Waren anscheinend teurer sind. Es wird mehr hergestellt, wir müssen mehr arbeiten, verbrauchen mehr Energie, mehr Rohstoffe, produzieren mehr Müll. Massenproduktion vergiftet nicht nur die Umwelt, sondern auch die Menschen, die sie herstellen. Da nur noch Tempo zählt, ist es nicht mehr möglich, seine Arbeit gut und schön zu machen. Kreativität bleibt auf der Strecke, die Arbeit bringt keine Befriedigung. Die Holzenergie sucht sich einen anderen Weg und wird zu offener oder unterdrückter Wut, ein Aggressionspotential, das sich nach außen in sinnloser Rüstungsproduktion zeigt und sich in Kriminalität und Kriegen entlädt.
In ihrer Weisheit erkannten die Chinesen alle Aspekte des Holzes als ein Ganzes: Ausbreitung und Begrenzung, Jugend und Alter, Biegsamkeit und Festigkeit, Kreativität und Aggression, Bewegung und Ruhe. Wie ein Baum seine Äste in alle Richtungen ausstreckt, wachsen auch wir in alle Dimensionen, zu einem erfüllten, harmonischen Leben.
Holzelement in der Akupunktur
Akupunktur kann über die Meridiane TSOU TSIUEYIN und TSOU SHAOYANG (Beinmeridian des alten Yin und Beinmeridian des jungen Yang), westlich Leber und Gallenblasen-Meridian (siehe Zeichnung) und viele weitere Punkte, stagnierte Energie darin unterstützen, in Fluß zu kommen. Durch die Akupunktur wird Energie dahin gelenkt, wo sie zum Heilen und zu einem lebendigeren, erfüllteren Leben gebraucht wird.
Leber- und Gallenblasenmeridian
Ist zu wenig Holz-Energie vorhanden, haben die Menschen keinen Antrieb, keine Lust irgendetwas zu tun. Sie haben keine eigenen Ideen, lassen sich von anderen herumkommandieren. Streß ermüdet sie rasch. Sie werden launisch und gereizt und brechen schnell in Tränen aus, Frauen besonders vor der Periode. Auch Schmerzen vor der Menstruation und eine schwache Regelblutung treten auf. Die Fingernägel werden brüchig, der Kopf schwer, Fehlsichtigkeit tritt auf, Hautausschläge, Migräne, Schwindelgefühle, Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe.
Akupunktur baut die Holzenergie wieder auf, was natürlich einen wesentlich längerer Heilungsprozeß erfordert als bei einer Stagnation, wenn noch Energie vorhanden ist.
Übungen zur Harmonisierung des Holzelementes
Der heilende Laut und die heilende Farbe
Setzen Sie sich aufrecht auf eine Stuhlkante, die Füße in etwa schulterbreitem Abstand auf dem Boden. Legen Sie die Hand auf Ihre Leber - vorne rechts an den untersten Rippen - und spüren Sie hinein. Spüren Sie die Verbindung zwischen Leber und Augen. Atmen Sie ein und lassen Sie mit dem Atem grünes Licht zunächst zu den Augen aufsteigen und dann in die Leber hinunter wandern. Spüren Sie, wie mit dem grünen Licht neue Lebenskraft, Kreativität und Phantasie eindringt. Atmen Sie aus mit dem Laut „schschsch" und lassen Sie mit dem Laut alle Wut, Gereiztheit und Frustration aus der Leber entweichen. Machen Sie die Übung, solange Sie wollen, mindestens zwei Minuten lang. Bei Disharmonie im Holzelement empfehle ich mindestens 10 Minuten täglich. Am besten ist es, diese Übung nach den entsprechenden Übungen für die anderen Elemente durchzuführen und zwar in der Reihenfolge: Feuer, Erde, Metall, Wasser, Holz, wobei nur die Abfolge eingehalten werden sollte, Sie können mit jedem Element beginnen.
Schreien
Bei frischer Wut oder altem aufgestautem Ärger suchen Sie sich einen Platz, wo Sie niemand hören und sehen kann und schreien so laut und so lang Sie können. Am Anfang werden Sie heiser werden, aber nach einigen Malen kommt das Schreien tief aus dem Bauch und beansprucht Ihre Stimmbänder nicht mehr. Unterstützen Sie das Schreien mit Stampfen und Schlagen auf ein Kissen oder eine Matratze, in hellhörigen Häusern können Sie auch nur stampfen und schlagen. Werden Sie mindestens 5 Minuten lang richtig verrückt, auch wenn es Ihnen zunächst lächerlich erscheint. Toben Sie sich richtig aus, Sie werden merken, wie erleichtert Sie sich anschließend fühlen und wieviel mehr Vitalität Sie bekommen. Es macht mehr Spaß und löst Hemmungen, mit anderen zusammen an einem absolut schalldichten Ort seine Aggressionen loszuwerden, seine Energie in Fluß zu bringen und gleichzeitig immer wacher und bewußter zu werden.
Autoren: Rafaela Allgöwer und Kavi G. Lindemann