Die chinesische Weltanschauung sieht den Menschen als eine Einheit. Sie kennt keine absolute Trennung der Seinszustände "Körper", "Geist" und "Seele". Dies kommt schon in der Sprache zum Ausdruck: Die Begriffe, die im Chinesischen üblich sind, beinhalten immer das Ganze und sehen den Seinszustand nicht als etwas Abgetrenntes. Jeder Begriff, der ein Phänomen wie beispielsweise den Körper beschreibt, weist auf den weitergehenden Zusammenhang hin. Nichts Natürliches steht für sich allein, alles steht in einem Zusammenhang. Die Einheit Mensch ist in Verbindung mit der Umwelt: mit der Jahreszeit, der Luft, dem Wetter, der Tageszeit, mit Sonne und Mond.
Einheit und Harmonie
Ein gesunder Mensch ist in Harmonie mit seiner Umgebung, in Harmonie mit sich selbst. Ein Abweichen von dieser Harmonie ist Krankheit, unwichtig, ob sich die Abweichung überwiegend im körperlichen, emotionalen oder geistigen Seinszustand äußert.
In der chinesischen Gesundheitslehre geht es nicht darum, festzustellen, wieso und worum jemand vom Gleichgewicht abgekommen ist, sondern darum, die Disharmonie zu heilen. Dazu wird vor allem die Akupunktur benutzt. Wie weit eine Akupunkturbehandlung dem Patienten helfen kann, der Einheit näherzukommen, hängt von seiner Bereitschaft zum "Heil" - Sein ab und davon, ob er sich schon auf die Suche nach der Einheit gemacht hat.
Wenn eine Patientin beispielsweise wegen Menstruationsbeschwerden in meine Praxis kommt, habe ich verschiedene Möglichkeiten: Ich kann die Schmerzen rasch zum Abklingen bringen, dabei verschwindet nur das Symptom, die Krankheit ist nicht geheilt, sondern wird an gleicher oder anderer Stelle wieder hervortreten. Für eine Heilung des gesamten Menstruationszyklus benötige ich schon mehr Bereitschaft der Patientin: Sie muß Geduld aufbringen für einen längeren Heilungsprozeß und wird wahrscheinlich eine schmerzhafte Heilungskrise durchmachen.
Wenn jemand wirklich bereit ist, an sich zu arbeiten, führt sein Heilungsprozeß zusätzlich zu mehr Klarheit und Harmonie in seinem Frau Sein.
Die Lehre der fünf Elemente
Auf den Grundlagen von Harmonie und Einheit basiert auch die Philosophie der chinesischen Medizin, deren wohl wichtigster Teil die Lehre von den fünf Elementen ist. Kein Element ist isoliert, sondern jedes Ding, jedes Tier, jeder Mensch enthält alle fünf Elemente in unterschiedlichen Proportionen. Alles besteht aus "Feuer", "Erde", "Metall", "Wasser" und "Holz". Die Elemente stehen in Beziehung zueinander und helfen sich einander in der Reihenfolge: Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser.
Dünndarm Meridian
Sie können aber auch in Opposition stehen und sich zerstören. "Vielleicht kann " man aus der Lehre der fünf Elemente einen Zusammenhang dieser Art herauslesen, daß mit Holz das Feuer genährt wird, nach dem Abbrennen des Feuers Asche übrigbleibt, die Erde entsteht, in der Metalle gefunden werden und aus der Gewässer entspringen; das Wasser aber ernährt die Bäume, wodurch der Kreis zum Holzelement geschlossen ist."
Was sich hinter diesen Symbolen verbirgt, möchte ich in der folgenden fünfteiligen Artikelserie beschreiben.
Feuer im harmonischen Zustand
Ich beginne mit dem Feuerelement, weil wir im August in einer Jahreszeit leben, die dem Feuer zugeordnet ist. "Feuer" ist die am meisten extrovertierte Energie: Im Sommer sind die Tage am längsten, zur Mittagszeit steht die Sonne am höchsten, die Farbe Rot ist am leuchtendsten, und bitter ist der intensivste Geschmack. Ein Mensch befindet sich in diesem Energiezustand, wenn er völlig mit äußeren Dingen beschäftigt ist, Feuer bedeutet Handlung, voll in Aktion sein.
Im harmonischen Zustand gehört zum Element Feuer die Liebe - Liebe im chinesischen Sinne als "ungetrübte Wahrnehmung", Lebewesen so zu lieben, wie sie sind, ohne unsere im Verstand verankerten Wünsche und Programme auf sie zu projizieren, sie in ihrer ursprünglichen Schönheit annehmen. Dies ist ein ganz anderer Begriff von Liebe, als wir ihn im Westen haben, gar nicht mehr emotional, nicht mehr vom anderen abhängig, sondern klares, reines Bewußtsein.
Das menschliche Bewußtsein und die menschliche Lebenskraft bezeichnen die Chinesen als "Shen" oder "Kaiser", der Herrscher über den ganzen Organismus. Das Shen residiert im Herzen. Es sorgt für Übersicht und Klarheit in allen unseren Handlungen, analysiert und synthetisiert Informationen, faßt Entschlüsse. Ein Mensch mit starkem Shen hat strahlende Augen, eine lichtvolle, klare Ausstrahlung. Er ist aufrichtig, kreativ, voller Enthusiasmus, Geist und Freude; die Freude am Leben zu sein, an der Natur, an sich selbst und all den sogenannten Kleinigkeiten um uns herum, eine Freude, die sehr tief gehen kann, denn dem Feuerelement liegt die Suche nach mehr Bewußtsein am nächsten.
Dazu fällt mir die Geschichte der drei chinesischen Weisen ein, sie wurden die "lachenden Buddhas" genannt. Sie zogen von Stadt zu Stadt, von Marktplatz zu Marktplatz, stellten sich einfach hin und fingen an, aus vollem Hals zu lachen. Zuerst schauten die Leute verwundert, aber das Lachen war so ansteckend, daß bald der ganze Platz vor Lachen brüllte. Alle Habgier, Hast, Wut und Angst wurden plötzlich in Freude verwandelt. Die Weisen zeigten den Leuten die Kunst der Transformation, veranschaulichten die chinesische Lehre, daß alles ineinander umwandelbar ist. Das tut auch die Akupunktur, sie transformiert "kranke" Energie in gesunde. Das Feuerelement ist das mitteilsamste der Elemente, kommuniziert am meisten mit anderen, darum gehört zu ihm die Sprache und damit Zunge und Kehlkopf. Es regiert über die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) den Hormonhaushalt des Körpers und ist zuständig für Wärmehaushalt und Schweiß.
Schematischer Verlauf des Herz-Meridians
Das gesamte Kreislaufsystem gehört ebenso zum Feuer wie die Gesichtsfarbe, die Ellbogen und der Dünndarm.
Die Energiebahnen im Körper (Meridiane), die zum Feuer gehören, heißen im Chinesischen CHEOU SHAO YIN (Armmeridian des jungen, kleinen Yin/, CHEOU TAE YANG (Armmeridian des großen, vollendeten Yang), CHEOU TSIUE YIN (Armmeridian des alten, endenden Yin) und CHEOU SHAO YANG (Armmeridian des jungen, kleinen Yang). Der erste ist unter anderem auch mit dem Herzen verbunden und wird deshalb im Westen fälschlicherweise Herzmeridian genannt. Der zweite Meridian heißt bei uns Dünndarmmeridian, der dritte Kreislauf-Sex-Meridian, der vierte Dreifacher-Erwärmer-Meridian. Wo diese Meridiane liegen und wie sie verlaufen, können Sie den Zeichnungen entnehmen. Diese vier Meridiane beeinflussen das gesamte Feuerelement in allen seinen Ausprägungen. Sie beziehen sich keineswegs nur auf ein bestimmtes Organ oder eine bestimmte Körperfunktion, wie ihre westlichen Namen vermuten lassen.
Bei einem Menschen, dessen Feuerelement in Harmonie ist, sind auch die Meridiane ausgeglichen und haben - wie sich durch Pulsdiagnose, die in der chinesischen Heilkunst eine besondere Bedeutung besitzt, feststellen läßt - weder zu wenig noch zu viel Energie.
Disharmonisches Feuer
Feuer in Harmonie ist wie ein Herdfeuer, es wärmt die Welt, bringt Schwung und Enthusiasmus ins Leben. Kommt es außer Kontrolle, kann es sich ausbreiten wie eine Feuersbrunst und die Welt im wahrsten Sinne des Wortes mit Feuer überziehen. Zwei Beispiele für Menschen, die ihr Feuer so gelebt haben, sind Dschingis Khan und Napoleon. Mit beispielloser Arroganz und Grausamkeit dehnten sie ihre Macht weiter und weiter aus. Ihr Feuer wütete auf Kosten anderer.
Meist richtet sich übertriebenes Feuer vor allem gegen den Menschen selbst. Viele Filmschauspieler oder Manager leben völlig extrovertiert, sind Tag und Nacht in Aktion und gönnen sich monatelang nur drei Stunden Schlaf. Irgendwann können sie gar nicht mehr schlafen, Hektik, Unruhe und Aufregung sind ständig spürbar. Oft bekommen sie Herzklopfen oder Stiche in der Brust, ein knallrotes Gesicht, rote Augen, Nasenbluten, die Kehle wird trocken. Jetzt ist Reden und Lachen keine Freude mehr, sondern wird zwanghaft, laut und unmotiviert oder sogar hysterisch.
Dieser Zustand kann natürlich nicht dauernd anhalten, irgendwann ist die Energie verbraucht, das Feuer erschöpft. Es kommt zu Ohnmachten, plötzlichen Schweißausbrüchen ohne jeden Anlaß, Träumen vom Fallen, geistiger Müdigkeit bis zu Willenlosigkeit. Die nervöse Spannung hält weiter an, kann sich aber körperlich nur noch in einem schnellen Atemrhythmus ausdrücken.
Andere Menschen leben ihr Feuer zu wenig. Es ist ihnen von Kind auf gesagt worden: "Sei still!", "Lach' nicht so laut!", "Benimm dich anständig und renne nicht herum!" usw Diese Prägung bleibt ihnen auch als Erwachsener im Unterbewußtsein und bestimmt immer noch ihr Leben. Sie nehmen ihre Lebensenergie zurück und ihr Leben wird grau, trübsinnig und freudlos.
Der Feuertyp
Es ist wichtig, die goldene Mitte für sich selbst zu finden, sein individuelles Feuer in der richtigen Proportion zu leben. Nicht jeder Mensch hat von seiner Anlage her gleichviel Feuer; es kann sein, daß ein oder zwei andere Elemente in seiner Persönlichkeit überwiegen und das Feuer für ihn nur einen kleinen Stellenwert einnimmt. Andererseits gibt es Menschen, bei denen das Feuer dominiert, die sogenannten "Feuertypen". Der Feuertyp, wie ich ihn gleich beschreiben werde, ist nur ein Idealbild, man wird ihn nie ganz so finden, denn die anderen vier Elemente spielen in ihren unterschiedlichen Proportionen immer mit.
Ein Feuertyp redet und lacht gern und laut und unterstreicht seine Reden mit Gestik. Er ist jemand, den man bemerkt und meist schätzt, weil er leicht auf andere zugeht, sich schnell freuen kann und mit seiner Begeisterung andere ansteckt. Körperlich erkennt man ihn an seinen schnellen Bewegungen, dem runden, rötlichen Gesicht, den breiten Backen, den horizontalen Gesichtsfalten und einer relativ hohen Stimme. Die Hand ist lang, mit langen, schlanken, beweglichen Finger, die wie Sonnenstrahlen weit auseinandergespreizt werden können. Oft ist der kleine Finger dann wie ein Haken nach innen gebogen. Die Fingernägel sind konvex, schmal und formen ein elegantes Oval. Die Körperorgane und Persönlichkeitsmerkmale des Feuerelements sind seine Stärke und das, was er nach außen trägt. Dadurch wird er an genau diesen Stellen auch am verletzlichsten und sich am leichtesten aus dem harmonischen Zustand entfernen.
Akupunktur - ein individueller Weg zur Harmonie
Vielleicht haben Sie jetzt festgestellt, daß Sie ein Feuertyp sind, aber Ihr Feuer gar nicht wirklich leben. Hier kann ein guter Akupunkteur helfen, Unterdrückungsmechanismen abzubauen, so daß Sie Ihren eigenen Weg zu mehr Lebendigkeit finden. Sie wachen mehr und mehr auf: Sie machen vielleicht die für Sie richtige Meditationsform (wahrscheinlich eine Bewegungsmeditation) oder Sie fangen an, Sport zu treiben, zu joggen oder zu tanzen.
Auch wenn Sie Ihr Feuer exzessiv leben und immer in Hast und Anspannung sind, zeigt Ihnen gute Akupunktur Ihren persönlichen Weg zur Entspannung: ob Yoga oder Massage, kathartische (abreagierende) bzw. dynamische Meditationen, weniger Kaffee und Zigaretten, Spaziergänge in der Natur oder einfach mehr Schlaf. So wie es für Sie am besten ist, finden Sieden Weg zurück zu Ihrer Mitte.
Auch wenn die Disharmonie des Feuers schon in den körperlichen Seinszustand eingedrungen ist und z. B. zu Herzrythmusstörungen, Krampfadern oder Schwierigkeiten mit dem Ellbogengelenk geführt hat, heilt richtig angewandte Akupunktur auf genau dieselbe Weise: Sie finden Ihren eigenen Weg, die Krankheitsursachen verschwinden und dadurch kann auch der Körper wieder heil werden.
Eine typische Feuerhand - Weit auseinander gespreizte Finger, ovale Fingernägel
Übungen zur Harmonisierung des Feuerelements
Auch ohne Akupunktur können Sie etwas für Ihr Feuer tun. Ich stelle Ihnen zwei Übungen vor. Wenn Sie sie gern machen und sie Ihnen gut tun, werden Sie dabei bleiben. Es ist dabei unwichtig, ob Sie ein Feuertyp sind oder nicht, denn jeder trägt, wie gesagt, das Feuerelement in sich.
Der heilende Laut und die heilende Farbe: Setzen Sie sich aufrecht auf eine Stuhlkante, die Beine etwa Schulterbreit auseinander, spüren Sie Ihr Herz und die Verbindung zwischen Herz und Zunge. Atmen Sie' tief ein, formen Sie mit den Lippen einen Kreis' und atmen Sie fast ohne Ton mit dem Laut HAAAHHH aus.
Atmen Sie soviel Luft aus wie möglich und stellen Sie sich vor, daß Ihr Herzbeutel mit dem Atem alle kranke Energie, Ungeduld, Hast und Arroganz aus dem Herzen drückt. Dann atmen Sie ein und stellen sich vor, daß rotes Licht und mit ihm Freude und Bewußtheit in Ihr Herz eindringt. Machen Sie diese Übung, solange Sie wollen - mindestens zwei Minuten lang. Wenn Ihr Feuer im disharmonischen Zustand ist, sind ungefähr zehn Minuten täglich zu empfehlen. Sie werden merken, wie gut Ihnen diese Übung tut, wie Sie sich lebendiger und ausgeglichener fühlen.
Lachen: Wenn Sie am Morgen aufwachen, lassen Sie Ihre Augen noch geschlossen. Recken und strecken Sie sich wie eine Katze, so lange Sie mögen. Dann fangen Sie immer noch mit geschlossenen Augen, an, laut zu lachen. Am Anfang wird Ihnen das noch schwer fallen, schauspielern Sie einfach eine Weile oder denken Sie an etwas Lustiges, nach kurzer Zeit wird das Lachen richtig tief aus dem Bauch kommen. Lassen Sie sich einige Minuten lang richtig herzlich lachen, dann stehen Sie auf. Auch wenn Sie Ihren Partner mit Ihrem Lachen aufwecken, bleiben Sie dabei, Ihre gute Laune ist so ansteckend, daß er entweder gern mit Ihnen aufsteht oder sich mit einem Lächeln auf den Lippen umdreht.
Autoren: Rafaela Allgöwer und Kavi G. Lindemann